Sven Franke zu Trends, Technologien und Innovation nach Corona

Viele Fragen an Sven Franke – heute zu Trends, Technologien und Innovation

Seit 2011 ist Unequity Kommunikationspartner für HR-Abteilungen – meist großer Konzerne. Wir werden immer dann aktiv, wenn es nicht leicht verständliche Inhalte zu erklären gibt, die für große Gruppen der Belegschaft interessant und wichtig sind.

Bevor wir als Produkt eine multimediale, unterhaltsame Informationskampagne auf die verschiedenen Zielgruppen „loslassen“, lesen wir oft dröge und umständlich formulierte Texte – Policen, Verträge oder andere Regelwerke –, recherchieren, analysieren kommunikations-infrastrukturelle Bedingungen, Zielgruppen und kreative Möglichkeiten und stellen Fragen – viele Fragen. 

Wir nutzen unsere Fähigkeit Fragen zu stellen heute dafür, ein Interview zu führen. Ein Interview mit Sven Franke, der in den letzten Jahren wichtige Begriffe unserer heutigen Arbeitswelt mitgeprägt hat. Begriffe, wie #NewWork, #NewPay, #Augenhöhe etc.

Sven Franke, credit to Personalmesse Europe

Sven, heute führen wir unser vorerst letztes Themeninterview mit dir. Nach spannenden Gesprächen über die Auswirkungen von Corona auf die Arbeitswelt sowie auf Gesellschaft und Umwelt, wagen wir heute einen Ausblick in die Themen Trends, Technologien und Innovation und stellen uns gemeinsam die Frage, welchen Einfluss die akute Situation durch COVID-19 darauf hat.

Über New Work haben wir bereits ausführlich gesprochen. Das Zukunftsinstitut hat auf seiner Website New Work als einen von drei innovationstreibenden Megatrends identifiziert:

New Work, Silver Society (Pro-Aging) und Neo-Ökologie stünden im Epizentrum von Corona und würden die Welt verändern, so heißt es im aktuellen Artikel „Unsere neue Zukunft – Mit den Megatrends in die Post-Corona-Zeit“. Hier gibt es noch mehr zu den 12 Megatrends.

Ist New Work auch deiner Meinung nach ein innovationstreibender Megatrend? Inwiefern glaubst du wird New Work unsere Welt verändern?
Ich glaube, dass New Work der Weg zur Innovation ist. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie Innovation grundsätzlich entsteht und wie Innovation speziell in einer Organisation entsteht. Wolf Lotter hat dazu eine sehr schöne Definition. Er sagt unter anderem in einem Artikel bei brandeins, dass Innovation ein Kind einer Kultur der Neugier ist. Es braucht demnach Geduld und Durchsetzungsvermögen. New Work bietet in diesem Zusammenhang einen großen Vorteil, auch in Hinblick auf Organisationsform und Zusammenarbeitskultur.

Wenn wir das Wesen von New Work betrachten und uns bewusst machen, dass dabei Themen wie Wir-Denken, Partizipation, Selbstverantwortung, Flexibilität, Transparenz und Fairness im Fokus stehen, erkennt man, dass es hier einen Raum gibt, der für Innovation sehr förderlich ist. Auch, weil noch ein weiterer Aspekt dazukommt: Scheitern ist eine Option. Das Bewusstsein, dass man auch scheitern kann, lässt Innovation nicht mehr wie eine Bedrohung wirken.

In Hinblick auf Innovation muss man sich auch als etablierter Unternehmer die Frage stellen, ob man bereit ist, sein eigenes Business-Modell zu kannibalisieren. Ein kurzes Beispiel: Die Autoindustrie. Man hat hier förmlich auf Tesla gewartet, auch wenn schon früher Elektro-Ideen vorhanden waren. Die etablierten, großen Firmen mussten dann aber – als Tesla auf den Markt kam – ihre eigenen Modelle und Cash cows hinterfragen und neu strukturieren.

Ich glaube fest, dass der Gedanke von New Work als Treiber den Unternehmen dabei extrem hilft. Man darf nicht vergessen, dass Innovation meist dann entsteht, wenn ein Widerspruch zur Normalität besteht. Wir erleben gerade eine Zeit mit wenig Normalität, also werden dementsprechend Innovationen massiv gefördert.

Quelle: Zukunftsinstitut

Eine Grafik des Zukunftsinstituts zeigt, dass besonders Szenario 3 (Neo-Tribes) und Szenario 4 (Adaption), der identifizierten Post-Corona-Szenarien, Einfluss auf den Trend New Work nehmen.

Stimmst du dem zu und kannst du beschreiben, warum und in welcher Form das geschieht?
Werfen wir zuerst noch einmal einen Blick auf „Adaption“ und die Ergebnisse des Zukunftsinstituts. Wenn man ihre Auswertung nach einer Leserbefragung zu den Zukunftsszenarien betrachtet, dann findet die Adaption einen Zuspruch von 70 % bei den Lesern. Sie halten den Eintritt dieses Szenarios für am wahrscheinlichsten.

Die Adaption erfordert aber, dass wir mit Veränderungen umgehen können. Genau das ist derzeit bereits zu erkennen. Organisationen erlernen den flexiblen Umgang mit Veränderungen z. B. bezüglich Home-Office, Online-Verfügbarkeit, neuer Meeting-Kultur und vielem mehr und verfolgen das Ziel, gestärkt aus dieser Krise herauszugehen. Gleichzeitig wird der achtsame Umgang miteinander gepflegt.

Das bedeutet unter anderem, dass man aktuell nicht so kritisch ist, wenn z. B. ein Online-Tool nicht richtig funktioniert oder eine Absprache nicht eingehalten werden kann, weil sie unter den aktuellen Umständen nicht realistisch machbar war. Das hat einen großen Einfluss, gerade weil der Zweck von Wirtschaften und die Sinndiskussion wieder in den Vordergrund gerückt werden. Somit ist die Adaption ein Zukunftsszenario, das auf New Work einzahlt.

Wenn man den zweiten, für mich in diesem Fall interessanteren Punkt Neo-Tribes betrachtet, gibt es auch hier viele Aspekte, die zu New Work passen. Schauen wir uns das Szenario und die aktuellen Auswirkungen ebenfalls noch einmal an. So ist z. B. das Thema „Stärken der lokalen Strukturen“ bereits zu spüren. Menschen haben wieder lokale Händler im Blick und versuchen diese zu unterstützen. Wir verändern uns, indem wir mit weniger Kontakt lokaler und regionaler werden.

Das sorgt zum einen dafür, dass zum Beispiel Fernreisen zurückgehen, zum anderen erleben wir aber auch, dass Nachbarschaftshilfen florieren und, dass ein Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft in den Vordergrund rückt. Teilweise sprachen wir in unserem zweiten Interview bereits über diese Effekte und Veränderungen. Produktion vor Ort wird ausgeweitet, da uns bewusst wird, dass es besser ist, auch vor Ort zu produzieren. Als Beispiel denke ich hier an Arzneimittel oder medizinische Schutzkleidung. Wir erfahren in der Krise, dass globale Handelsketten nicht immer wie gewünscht funktionieren, so kommt es in der Folge zu einer Regionalisierung in bestimmten Märkten. Das traditionelle Handwerk ist wieder im Kommen. Die Idee der regionalen bzw. lokalen Genossenschaft, die schon in den letzten Jahren ganz stark an Popularität gewonnen hat, wird in den nächsten Jahren einen starken Aufwind bekommen. Auch Urban Farming und Urban Manufacturing spielen in dieser Zukunft eine bedeutendere Rolle. Die Prinzipien von New Work greifen auch hier und unterstützen die Entwicklungen. Insofern hat wiederum das Szenario auch einen Einfluss auf die Entwicklung von New Work.

Beide Szenarien sind grundsätzlich optimistisch, das eine mit einem stärkeren globalen, das andere mit einem stärkeren lokalen Fokus. Die Auswertung der Leser des Zukunftsinstitutes zeigt, dass sie diese beiden für die wahrscheinlichsten Entwicklungen halten. Sie sind optimistisch für unsere Zukunft – und ich bin es auch! (lacht)

Wir leben aktuell ja eine Mischform der beschriebenen Szenarien. Ein Aspekt des Szenarios „System-Crash“, ist die totale Überwachung. Fällt für dich auch die aktuelle Diskussion um die Tracking-App zur Bekämpfung des Virus in diese Zukunftsvorstellung?
Ich finde dieses Thema ein bisschen „gefährlich“. Man muss sich mit dieser Tracking-App sehr intensiv auseinander setzten. So wie ich die Erklärungen – zumindest zur deutschen App – verstehe, dient sie nicht zur Überwachung. Sie ist nur für den Austausch einer Information über Infizierte und Nicht-Infizierte. Die App soll extrem verschlüsselt sein und die Orte sollen nicht getrackt werden. Hier ist wohl die einzige Information, die übermittelt wird, ob man in der Nähe einer infizierten Person war. Aus der Infektionsbiologie heraus macht das total Sinn, weil es immer darum geht, den Patienten 0 oder den Auslöser in einer Region zu finden. Klar ist aber, dass der Weg zur Überwachung dadurch kürzer ist und einfacher wird. Wir müssen einfach sehen, wie das datenschutztechnisch behandelt und aufgebaut wird. Ich glaube, wir haben grundsätzlich die Notwendigkeit der App erkannt. Gleichzeitig habe ich schon das Gefühl, wir übereilen das Thema nicht, weil wir extrem auf den Datenschutz blicken und erst definiert werden muss, wo Informationen fließen und wer diese erhält, sodass wir weiter unsere Standards behalten.

Digitalisierung spielt sowohl bei New Work als auch im Megatrend Konnektivität eine zentrale Rolle und wird in unserer aktuellen Situation intensiv gelebt. Dabei wird auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) konstruktiver diskutiert. Wie schätzt du persönlich die Auswirkungen auf unsere Einstellung gegenüber neuen Technologien wie KI, Virtual oder Augmented Reality etc. und letztlich auf unseren Umgang damit ein?
Ich glaube, dass das Bewusstsein für die Möglichkeiten moderner Technologien gerade bei vielen Menschen erst entsteht – die aktuelle Krise führt sicher zu einem Boost. Wir erfahren unmittelbar, was schon möglich ist. Ein Beispiel: Wir sitzen gerade alle hier im Video-Call, sehen uns und jeder hat schon etwas gesprochen, sodass wir alle Stimmen gehört haben. Und jetzt stellt euch vor, die Technologie im Hintergrund analysiert eure Stimme und findet dazu passend alle Daten, die es über euch im Netz gibt und zusätzlich wird eure Stimme analysiert. Wir würden zu jedem von uns auf dem Monitor den Beziehungsstatus, die politische Orientierung, Religiosität, sexuelle Präferenzen, aber auch ein Persönlichkeitsprofil wie emotionale Stabilität, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit sehen. Das könnten die neuen Technologien leisten. Die Frage, die letztendlich gestellt werden muss, ist: Was wollen wir als Gesellschaft und was wollen wir nicht?

Auf der technischen und wissenschaftlichen Seite ist schon einiges möglich, obwohl aktuell noch wenig umgesetzt wird, wird in Unternehmen schon vieles diskutiert. Fakt ist, dass Unternehmen parallel zur stattfindenden Diskussion bereits einiges ausprobieren werden. Fakt ist auch, dass wir glauben, dass wir Probleme, die wir haben, durch den Einsatz von Technologien lösen werden, dies aber nicht oder nur teils können.

Nehmen wir z. B. KI zum Thema Mitarbeiterauswahl. Hier ist Voraussetzung, dass ich weiß, welche Mitarbeiter ich brauche und was einen erfolgreichen Mitarbeiter ausmacht – dieser Teil wird strategisch vom Menschen immer noch vorausgedacht werden müssen. Aktuell glauben wir, dass die KI das weiß, obwohl dem nicht so ist. Ebenfalls kann beispielsweise Diskriminierung durch den Einsatz von KI auch nicht reduziert werden. In den USA wird die Wahrscheinlichkeit erneut kriminell zu werden anhand einer KI berechnet. Dabei kam heraus, dass die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein Farbiger zum Wiederholungstäter wird als ein Weißer. Erstmal ist das ein Ergebnis, aber wir müssen hinterfragen, ob die Wahrscheinlichkeit nicht viel eher am System liegt und welche Faktoren in der Realität noch Einfluss haben. Wir müssen demnach ganz stark darauf achten, wie und wann wir KI einsetzen dürfen und nicht davon ausgehen, dass sie Menschenverstand ersetzt. Ich bin der Meinung, dass wir für den Einsatz und Umgang mit neuen Technologien klare Rahmenbedingungen benötigen.

Ich bin froh, dass sich zum Beispiel der Ethikbeirat HR Tech über den Einsatz von KI und neuen Technologien Gedanken macht. Jeder muss aber trotzdem auch für sich selbst entscheiden, wie weit er gehen möchte. Es werden sicher einige allgemeingültige Regeln entstehen und gleichzeitig individuelle, unternehmensinterne Regeln. Wichtig ist meiner Meinung nach ein offener Austausch über Entwicklungen und Möglichkeiten und die Regeln vor dem Einsatz neuer Technologien.

Generell ist davon auszugehen, dass Virtual Reality auch über die reine Produktpräsentation hinaus genutzt werden wird, dass Hologrammtechniken und Augmented Reality im geschäftlichen, wie auch im privaten Bereich einen Push erfahren. Ein gutes Beispiel dafür, dass wie „bereit“ sind, ist Tesla: Die Leute haben das Auto gekauft, ohne das Produkt vorher gesehen zu haben. Das komplette Produkt befand sich im Internet. Tesla hatte anfangs keine Shops. Zwischenzeitlich wurden diese aufgebaut und die ersten aber auch bereits wieder geschlossen, da sich zeigte, dass die Kunden die Haptik nicht für einen Kauf benötigen.

Müssen wir nach der „Notsituation“, in der einige sonst gültige Regeln in Bezug auf den Datenschutz, die Arbeitssicherheit etc. aufgeweicht wurden, über den korrekten Umgang nochmals intensiv diskutieren? Wie kann das ablaufen?
Ich habe gerade nicht das Gefühl, dass die Regeln gebrochen werden. Wenn man in die Organisationen blickt, die in der Krisensituation mit Betriebsräten arbeiten, stelle ich fest, dass die gültigen Regeln nicht in Frage gestellt werden. Wir bewegen uns hier z. B. gerade in Microsoft Teams. Das läuft in großen Organisationen schon länger, also wurden Datenschutz-Themen im Vorfeld der Krise bereits gelöst. Die Hürde sich beispielsweise jetzt über Grenzen des Datenschutzes hinwegzusetzen, ist zwar heute geringer, aber ich glaube, dass dieses Thema nach dem aktuellen Ausnahmezustand wieder hinterfragt wird. Neue Regeln brauchen wir erstmal keine, wir müssen die Regeln, die wir schon haben erstmal leben. Das Betriebsverfassungsgesetz als Beispiel, gibt es in der aktuellen Form seit den 70er Jahren und obwohl das alte noch nicht einmal ausgeschöpft bzw. gelebt wurde, wird hier schon seit langer Zeit nach einer Novellierung geschrien. Das halte ich für falsch. Gleichzeitig muss während einer Krise auf Missstände, die erkannt wurden, reagiert werden. Ganz klar.

Ist deiner Meinung nach eine „totale Digitalisierung“ nach der Pandemie möglich? Für welche Bereiche könnte das funktionieren bzw. in welchen Bereichen werden wir zumindest digitaler werden, als wir es aktuell sind? Welche Dienste müssen jetzt ihren Fokus auf die Digitalisierung legen?
Ich glaube wir sehen jetzt schon, dass eine totale Digitalisierung nicht möglich ist. (lacht) Da müssen wir gar nicht auf die Zeit nach der Krise schauen.

Je länger der Ausnahmezustand herrscht, desto mehr kritische Stimmen wird es zum Beispiel zur Arbeit Zuhause geben, weil man jetzt merkt, dass Unternehmen und Mitarbeiter teils gar nicht darauf vorbereitet waren. Man hat Mitarbeiter einfach nach Hause geschickt und ihnen einen Laptop in die Hand gedrückt, ohne darauf zu achten, ob sie die entsprechenden Skills besitzen. Ich glaube, dass wir neue Entwicklungen in diesem Bereich sehen werden, die genau darauf reagieren, was wir in der Krise erleben. Besseres Training und technisches Equipment für Angestellte, die ihren Job ortsunabhängig verrichten können, aber auch Regelwerke und Leitfäden für Jobs, die ortsabhängig durchgeführt werden müssen. Es wird also meiner Meinung nach keine totale Digitalisierung geben.

Wo Digitalisierung zum Teil schon gut funktioniert – so beobachte ich es gerade – ist bei einigen Vorgängen, die vorher Nähe brauchten. Das Thema Social Distancing und das Gefühl „Wir sind zu nah dran“ hat sehr komische Auswirkungen. Das wird sich weiter entwickeln. Im Moment unterschreibt zum Beispiel der Paketbote selbst und nicht mehr der Kunde. Braucht es für diesen Prozess dann noch Menschen? Oder ist die Drohne, die die Pakete bringt, jetzt ein Stück näher gerückt? Gleiches gilt für andere Lieferdienste – den direkten Austausch braucht es meist nicht mehr. Im Supermarkt stelle ich immer mehr fest, dass der Vorgang der Pin-Eingabe bei Nutzung der EC- oder Kreditkarte unnötig wird. Es gibt mehrere Touchless-Payment-Lösungen am Markt, die jetzt auch vor dem hygienischen Hintergrund noch mehr Sinn machen. In anderen Ländern werden diese teilweise bereits ganz natürlich genutzt. Ich denke, das kommt auch bei uns immer mehr.

Im Bereich der Medizin werden wir viel Entwicklung sehen. Die Menschen sind schon jetzt gewohnt ihre Daten zu sammeln und sich selber zu tracken – immer mehr selbst von sich zu erfassen, ohne dabei in sich selbst reinzuhören. (lacht) Was mit diesen Daten alles möglich ist, werden wir sicher bald erleben.

Auch Ideen als Antwort auf die Fragen, wie kann ich die lokale Vernetzung digitalisieren bzw. wie kann ich den lokalen Austausch digitalisieren? Wie kann ich das fördern und unterstützen? Wie können kleine Unternehmen sich zum Beispiel für eine Lagerhaltung verbünden? Ich glaube, da wird ganz viel geschehen.

Trends, Technologie und Innovationen werden durch Corona selbstverständlich beeinflusst werden, da Corona einen massiven Einfluss auf die Normalität hat.

Stichwort Urban Manufacturing. Aktuell ist eine große Bereitschaft in der Gesellschaft zu beobachten, lokale Unternehmen und regionale Produzenten sowie kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Inwiefern ergeben sich hier neue Potentiale für die Nach-Krisenzeit?
Wenn man auf Bergmann zurückschaut, ist High-Tech-Selbstversorgung, Tauschhandel, Schaffung von lokalen Netzwerken etc. bereits Teil des New Work Gedankens. All das, was gerade als Urban Manufacturing beschrieben wird, ist aus Sicht von New Work schon lange nichts Neues mehr. Ich glaube, dass im Konsumverhalten eine Änderung dadurch stattfinden wird, dass wir gerade erleben, wie gefährlich ein auf die globale Vernetzung ausgerichtetes System mit dem Ziel der Gewinnmaximierung ist. Schon in Zeiten vor der Corona-Krise haben wir das gemerkt, als einige Arzneimittel nicht mehr wie gewohnt zu Verfügung standen, weil der Wirkstoff nur noch in einer Fabrik irgendwo in Südostasien produziert wurde. Der Ausfall der Fabrik wurde zum globalen Problem.

Gleichzeitig stellen wir ganz aktuell wieder fest, was lokal und regional alles möglich ist und sehen die Zusammenhänge der gesamten Wertschöpfungskette und letztlich unseres Verhaltens. Hier finde ich das Beispiel der Spargelbauern sehr anschaulich. Wir haben vor der Krise nicht hinterfragt, wie hoch der Gehaltsanteil im Preis des 1-Kilo-Spargel-Pakets war, das wir kaufen. Jetzt, wo die Erntehelfer aus Osteuropa nicht einreisen durften und das Thema breit diskutiert wird, machen wir uns darüber vielleicht eher auch selbst Gedanken. Was brauchen wir überhaupt, was kaufen wir und was ist es uns ganzheitlich, also unter Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette, wert? Das sollten die Fragen sein. Geld wird aber immer eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Bei Eiern beispielsweise sind wir es gewohnt, die Entscheidung auch für ein teureres Produkt zu treffen, weil unter anderem ethische Gesichtspunkte wie die Haltung eine Rolle für uns spielen. Das sollte meines Erachtens bei Milch und anderen regionalen Produkten auch zur Selbstverständlichkeit werden.

In Bezug auf die Arbeitswelt kann sich durch lokale Produktionen oder lokale Lagerhaltung einiges tun. Auch die Digitalisierung kann zur lokalen und regionalen Vernetzung einen hohen Beitrag leisten.

Anmerkung: Wir diskutierten hier noch eine Weile über Denk- und Handlungsweisen und die Vor- und Nachteile der Globalisierung.

Widmen wir uns einen Moment der Start-Up Landschaft. Glaubst du, es wird in Zukunft viel gegründet werden oder ist das Risiko gefühlt soweit gestiegen, dass viele eher auf Sicherheit setzen, statt neu zu gründen?
Die Frage ist für mich sehr spannend, gerade weil Deutschland ja nicht als Gründerland bekannt ist. Sicherheit ist und war uns immer schon wichtig. Wir erfahren aber gerade auch (wieder), dass selbst Festanstellungen nicht (krisen-) sicher sind – es gibt Kurzarbeit und erste Kündigungen werden ausgesprochen. Ob gerade die Krise also einen direkten Einfluss auf die Anzahl der Gründungen hat, kann ich nicht sagen.

Nichtsdestotrotz bietet eine Krise grundsätzlich Chancen für Neugründungen. Ein fraglicher Aspekt dabei ist, ob Geld noch so verfügbar ist, wie vor der Krise. Aus der Vergangenheit kennen wir, dass gute Ideen immer einen Investor gefunden haben. Wie wird sich die Krise nun darauf auswirken? Wie werden die Investoren mit ihren Geldern umgehen?

Gleichzeitig erleben wir, dass unfassbar viele Ideen vorhanden sind und das Potenzial für Neugründungen riesig ist. Schön hat man das an dem Hackaton #WirVsVirus der Bundesregierung gerade gesehen: über 28.000 Menschen haben rund 1.500 Lösungen für die gestellten Herausforderungen erarbeitet. In nur zwei Tagen. Jetzt gilt es, aus den besten Ideen etwas zu machen und sie Realität werden zu lassen. Ob das aber tatsächlich für jede möglich ist und ob das dann auch nachhaltig umgesetzt werden kann, wird erst die Zukunft zeigen.

Du hast selbst Gründungserfahrung und viele Unternehmen während ihrer Laufbahn beraten. Was würdest du Gründern aktuell raten?
Der Unterschied zwischen jetzt und davor ist nicht sehr groß, denn es gibt viele Aspekte, die man als Gründer in der Frühphase in Betracht ziehen sollte.

Meine erste Empfehlung ist, neben dem Was und dem Wie, immer auch das Wozu zu hinterfragen. Wofür ist mein Produkt, meine Dienstleistung nützlich und welchen Mehrwert bringt es Kunden, dem Unternehmen sowie dem Gründer (-team) selbst?

Als Zweites empfehle ich, dass man sich als Gründer nicht nur um das Produkt, sondern auch um sich selbst kümmern muss. Es ist wichtig, sich persönlich weiterzuentwickeln, die Social Skills zu erweitern und mitzuwachsen. Die meisten Gründer sind schon in der Wachstumsphase nicht mehr Teil des Unternehmens, da die Investoren bei fehlender Entwicklung die Stellen neu besetzen. Ich habe selbst auch für ein Family Office gearbeitet und irgendwann bei den Gründerteams gemerkt, dass der Punkt erreicht war, in dem zu viel Zeit in ein Produkt gesteckt wurde und die Selbstentwicklung auf der Strecke geblieben ist. Wichtig ist dabei auch, sich ein gutes Netzwerk aufzubauen, das aus einem guten Team, einem Beitrat, aber auch Sparringspartnern und einem extrem guten Steuerberater – den ich auch nicht verlasse, wenn ich einen neuen Investor habe – besteht.

Meine letzte Empfehlung, die den Kreis schließt, ist die Kultur. Ich muss mir einen prägenden Rahmen aufbauen, der mir Klarheit verschafft, was ich will und was ich nicht will und der mit viel Raum für stetige Entwicklung und Gestaltung lässt.

Auch organisatorisch spielen diese beiden Punkte ja eine große Rolle. Zum Beispiel im Bereich der Vergütung der Mitarbeiter. Auch hier kann es innovative Ideen geben – gerade in Krisenzeiten muss man unter Umständen völlig neu denken. Die Unternehmensberatung hkp/// hat am 1. April einen Artikel veröffentlicht, in dem angeregt wird, mögliche aktuelle Liquiditätsengpässe seitens der Arbeitgeber durch die Umwandlung von z. B. Bonuszahlungen in Unternehmensanteile zu verhindern. Der Mitarbeiter, der seinen Bonus dadurch nicht in cash, sondern in Form von beispielsweise (virtuellen) Aktien erhält, profitiert langfristig von steigenden Aktienkursen – sofern sich die Wirtschaft und das Unternehmen wieder erholen. Was hältst du grundsätzlich von dieser Art der Vergütung und was ist notwendig, um ein solches Vorgehen in Unternehmen erfolgreich umzusetzen?
Ich bin ein großer Fan von Mitarbeiterbeteiligung. Das Thema begleitet mich in unterschiedlichen Formen schon mein ganzes Berufsleben. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob es in dieser Krise richtig platziert ist. Es ist die erste Krise, in der wir wirklich überhaupt keine Idee haben, was passieren wird und wie lange sie anhalten wird. Wir fahren auf Sicht.

Wir erleben, dass staatliche Kredite angeboten werden, bei denen die Hausbanken mit 10 % haften, und diese oft nicht bereit sind, das Ausfall-Risiko einzugehen, obwohl sie alle Zahlen eines Unternehmens kennen. In dieser Situation Mitarbeiterbeteiligungen einzuführen, halte ich persönlich für sehr schwierig. Mitarbeiter haben dabei ja im Moment unter Umständen mehr als sonst das doppelte Risiko: den Ausfall ihres Vergütungsbestandteils sowie ihres Arbeitsplatzes, wenn das Unternehmen in Folge der Krise zu Grunde geht.

Ich glaube zudem auch nicht, dass wir die Zeit haben, um das Thema vernünftig umzusetzen. Wenn man sich die Länge des Prozesses von der Idee bis hin zur Realisierung eines Programms, mit den Vertragskonstrukten, Prüfungen, Kommunikation etc. anschaut, macht es keinen Sinn, es in einer Notsituation einzuführen. Gerade weil auch oft die Transparenz über die wirtschaftliche Lage fehlt. Das Risiko, einen Mitarbeiter dabei zu übervorteilen ist extrem groß – bzw. das Risiko, dass er sich übervorteilt fühlt. So gerne ich das Thema mag, glaube ich, dass es jetzt extrem schwierig ist.

Wie sieht es bei Unternehmen aus, in denen Mitarbeiterbeteiligung bereits gut etabliert ist und von den Mitarbeitern gut angenommen wird? Glaubst du, für diese Unternehmen ist das eine Möglichkeit?
Ja, wenn das Thema gut etabliert ist, finde ich das eine super Idee. Dann fällt das Angebot auf eine Kultur, in der das Miteinander am Erfolg teilhaben und gleichzeitig Risiken zu teilen, gelebt wird. Dann sind die Mitarbeiter und die Führungskräfte gewohnt Entscheidungen für oder gegen ein Investment in das arbeitgebende Unternehmen zu treffen. In diesem Fall ist eine Bonus-Umwandlung in beispielsweise Optionen oder virtuelle Aktien eine gute Möglichkeit, Liquidität zu schonen.

Wir bleiben zum Abschluss dieses Interviews beim Thema Trends und Innovationen im Vergütungsbereich. Im aktuellen Total Rewards Newsletter wird wieder über die breitere Einführung von „Cafeteria-Systemen“ für Vergütungsbestandteile diskutiert, d. h. ein Teil der Vergütung wird durch Sachleistungen oder zusätzliche finanzielle Zuschüsse vergütet. Denkst du, dass es ein Trend werden kann, dass mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter in Form eines Cafeteria-Systems vergüten?
Das Cafeteria-Modell ist ja an sich nichts Neues und viele dieser Systeme sind übervoll – nach dem Motto „Das, was der Mitbewerber macht, machen wir auch, plus eins.“ Die Folge daraus ist, dass keiner mehr durchblickt. Der Begriff „Cafeteria-System“ ist daher in meiner Wahrnehmung nicht mehr positiv belegt und flexible Vergütungs- oder Entlohnungsmodelle sollten neu definiert werden.

Was wir gerade erleben, ist, dass aber genau an diesem Sektor gespart werden kann, indem man Benefits-Angebote verschlankt. Die Frage, die dahintersteht, ist, was wollen wir den Mitarbeitern wirklich anbieten? Im New Pay Gedanken der Deutschen Bahn beispielsweise ist der Wahlbereich sehr simpel. Eigentlich ist das ein Cafeteria-Modell, nur anders gedacht. Hier entscheidet der Mitarbeiter, ob er eine Gehaltserhöhung, Mehrurlaub oder eine Arbeitszeitreduzierung möchte und macht sein Kreuzchen im System. Es zeigte sich, dass knapp 60 % den Mehrurlaub präferieren. Das beweist, dass der Faktor Zeit heute eine bedeutende Rolle spielt. Also müssen wir das Thema Vergütung größer fassen und größer denken. Für uns bedeutet das ein holistisches Vergütungsmodell, das nicht vergleichbar mit Total Compensation Ansätzen ist. Das ist auf der einen Seite sicherlich die Vergütung und die Mitarbeiterbeteiligung, auf der anderen Seite das Thema Benefits, geteilt in Wohltat (z. B. Obstkorb) und Privileg (z. B. Dienstwagen), das je nach Hierarchiestufe unterschiedlich ausfällt. Im Fokus des holistischen Ansatzes aber steht die Wirk- und Entwicklungswelt. Die drei Kernpunkte dieser Welt sind: 1. Welche Aufgabe habe ich? 2. Welche Resonanz erhalte ich in der Organisation? 3. Wo kann ich mich selbst verwirklichen?

Das Modell gibt viel Transparenz, denn es muss immer wieder hinterfragt werden. Statt die Auswahl der Angebote immer vielfältiger zu machen, ist dabei die Maxime, die Qualität der Angebote möglichst hoch zu halten. Hinsichtlich der Wirk- und Entwicklungsfelder muss dann ein passender Kommunikationsweg gewählt werden, um die Mitarbeiter zu informieren und die Auswahl zu vereinfachen.

Ist es nicht denkbar noch mehr Flexibilität in diesen holistischen Ansatz zu packen? Wir haben bei Unequity häufig mit Total Rewards Themen zu tun und stellen uns die Frage, ob es nicht in Zukunft möglich sein könnte, dass die Mitarbeiter regelmäßig ihr komplettes Arbeitspaket selbst gestalten: Von Aufgabe, Arbeitszeit, Arbeitsort, über Vergütung bis zu Benefits. Das würde den Prozess vom Recruiting bis zum Austritt frei gestaltbar machen. Systemisch unterstützt würde der Wahlprozess unkompliziert durchführbar sein. Nach einer gewissen Nutzungsdauer könnte dann beispielsweise KI dabei helfen vorherzusagen, welche Präferenzen für welchen Mitarbeiter möglicherweise passen. Zudem könnten die Benefits-Angebot nach Ethikregeln des Unternehmens zusammengestellt sein, z. B. vorwiegend Vorteile bei regionalen Unternehmen. Local Benefits also.
Ich glaube, das ist grundsätzlich denkbar, aber es bedarf einer sehr guten Kommunikation. Gerade bei diesen Wahlthemen ist das von großer Bedeutung, denn nicht jeder ist bereit immer wieder neu zu entscheiden, was er will. Und nicht jeder hat auch das Wissen, das dazu nötig ist. Man muss zudem eine Aufblähung des Prozesses verhindern und gleichzeitig einen Wohlfühlfaktor schaffen.

Wir leben in spannenden Zeiten und auch unsere Diskussionen während der drei Interviews zeigen, was alles möglich ist und wohin die Zukunft gehen kann. Es gibt (fast) keine Grenzen.

Lieber Sven, wir bedanken uns herzlich für dieses dritte und vorerst letzte Interview mit dir. Schon jetzt freuen wir uns auf weitere spannende Gespräche und Kollaborationen mit dir in der Zukunft.

Das Interview wurde durchgeführt von Simone Schmitt-Schillig, Hannah Unglaub, Lina Rieder und Konstanze Mayr.

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„Experimente wagen und Neuland erkunden“, nach dieser Maxime lebt und arbeitet Sven Franke. Er ist Organisationsbegleiter, Sparringspartner für Betriebsräte und Unternehmensleitungen, Thementreiber, Autor und Keynote-Speaker. 2014 und 2015 initiierte er gemeinsam mit Weggefährten die Projekte „AUGENHÖHE“ und „AUGENHÖHEwege“. Mit CO:X begleitet er Unternehmen, die sich aus sich selbst heraus verändern und neue Wege der Zusammenarbeit gehen. In 2017 wurde Sven Franke mit dem New Work Award von XING ausgezeichnet. 2019 veröffentlichte er zusammen mit Stefanie Hornung und Nadine Nobile das Buch „New Pay – alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“.

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Weiterführende Links
www.zukunftsinstitut.de/zukunft-heute-coronanewmanagement.haufe.de/organisation/corona-und-die-folgen
www.welt.de/kmpkt/article166416327/So-soll-sich-unser-Leben-bis-2030-veraendern
www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/209968/megatrends
www.redbull.com/de-de/theredbulletin/globale-megatrends-mit-veraenderungspotenzial
www.ethikbeirat-hrtech.de
info.benify.de/de-de/webinar-alles-zum-thema-flexible-benefits
www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/corona-regierung-will-start-ups-mit-2-milliarden-euro-helfen-16706787