Viele Fragen an Sven Franke – heute zu Gesellschaft und Umwelt
Seit 2011 ist Unequity Kommunikationspartner für HR-Abteilungen – meist großer Konzerne. Wir werden immer dann aktiv, wenn es nicht leicht verständliche Inhalte zu erklären gibt, die für große Gruppen der Belegschaft interessant und wichtig sind.
Bevor wir als Produkt eine multimediale, unterhaltsame Informationskampagne auf die verschiedenen Zielgruppen „loslassen“, lesen wir oft dröge und umständlich formulierte Texte – Policen, Verträge oder andere Regelwerke –, recherchieren, analysieren kommunikations-infrastrukturelle Bedingungen, Zielgruppen und kreative Möglichkeiten und stellen Fragen – viele Fragen.
Wir nutzen unsere Fähigkeit Fragen zu stellen heute dafür, ein Interview zu führen. Ein Interview mit Sven Franke, der in den letzten Jahren wichtige Begriffe unserer heutigen Arbeitswelt mitgeprägt hat. Begriffe, wie #NewWork, #NewPay, #Augenhöhe etc.
Sven, du begleitest viele unterschiedliche Unternehmen dabei, sich weiterzuentwickeln, bist Thementreiber und Sparringspartner für verschiedene Gruppen.
Nach einem ersten sehr spannenden Gespräch über die Veränderung der Arbeitswelt durch Corona, möchten wir uns daher heute mit dir darüber unterhalten, inwieweit die aktuelle Situation Einfluss auf unsere Umwelt und unsere Gesellschaft hat bzw. haben könnte.
Das Zukunftsinstitut skizziert vier mögliche „After-Covid-19“-Szenarien: 1. Totale Isolation (alle gegen alle), 2. System-Crash (permanenter Krisenmodus), 3. Neo-Tribes (der Rückzug ins Private), 4. Adaption (die resiliente Gesellschaft). Wie ist deine Meinung dazu und wie denkst du, würden sich die einzelnen Szenarien auf die Arbeitswelt auswirken?
Wir müssen lernen, dass jeder Einzelne von uns die Zukunft als aktiver Player mitformt. Sie ist nichts, was einfach passiert, während wir tatenlos zuschauen. Es gibt also mehrere Zukünfte, die die Szenarien des Zukunftsinstituts gut treffen. Alle sind möglich, denn es hängt von uns selbst ab, welche von ihnen Realität wird. Mein Idealbild wäre die Adaption. Wir sprachen in unserem ersten Gespräch über „New Work“ und das zielt genau auf diese nötige Reaktionsfähigkeit und Flexibilität ab. Ich glaube, gerade jetzt in der Krise erleben wir auch schon ganz viel davon. Wie kann ich mein Können zugunsten der Gesellschaft in die aktuelle Situation einbringen? Meine 80-jährige Mutter näht jetzt beispielsweise Gesichtsmasken für Einrichtungen hier in der Gegend. Gleichzeitig ist sie aber komplett im Rückzug, isoliert sich sinnvoller Weise.
Die Situtation bringt natürlich viele Herausforderungen. Wichtig ist jedoch, wie wir uns wünschen, dass es weitergeht und was wir selbst dafür tun können, um dieses Luftschloss in die Tat umzusetzen. Erschwert wird das leider dadurch, dass wir als Gesellschaft verlernt haben, Diskussionen zu Ende zu führen. Wir stellen oft nur noch Aussagen nebeneinander und jeder versucht, sich etwas auszusuchen, das er dann als „seine“ Meinung festlegt. Wir haben verlernt, unsere Argumente selbst zu reflektieren und durch offenen Austausch weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeit müssen wir zurückgewinnen.
Ich persönlich glaube, es wird am Ende eine Mischung aus allem sein. Denn, wie bei den vier Zukunftsszenarien dargestellt, bestehen alle gesellschaftlichen Zustände aus einem Trend und einem Gegentrend. Und schon jetzt leben wir mehrere Trends gleichzeitig. Wir sind sehr viel weniger bis gar nicht mehr mobil, wir sind als Familien zusammen, ohne die Kinder in verschiedenen Betreuungs- oder Bildungseinrichtungen versorgt zu wissen, Oma und Opa sehen wir derzeit nur im Skype-Meeting und wir arbeiten im Home Office, kürzer oder gar nicht mehr, weil z. B. Familie und Fulltime-Job parallel nicht vereinbar sind. Zudem erlebt die Nachbarschaftshilfe und das Bewusstsein für das unmittelbare Umfeld einen immensen Schub. Wir kaufen lokal und unterstützen Restaurants und kleine Geschäfte in unserer Umgebung. Wir leben also Teile der skizzierten Szenarien schon jetzt und zwar als Mischform.
Wie, denkst du, wirkt sich die Veränderung im Alltag, die wir alle erleben, auf unser gesellschaftliches System in Deutschland aus? Werden wir z. B. das „Füreinander-Da-Sein“ als Gesellschaft halten können, auch nach der Krise?
Das ist für mich die größte Frage: Wie kann man das Positive, das in der Notsituation entsteht, in die Nicht-Notsituation retten? Bei uns gibt es von der Gemeinde eine Facebook-Gruppe, in der jetzt vieles organisiert wird, was unser Zusammenleben betrifft. Freiwillige stehen vor den Supermärkten, desinfizieren Einkaufswagen, sprechen Ältere an, dass sie den Einkaufsservice nutzen sollen. Jeder reagiert in einer Notsituation anders und aus sich heraus. Wir brauchen aber jetzt schon eine Idee dafür, was wir mit der Gruppe machen, die sich gerade so stark einsetzt. Für mich stellt sich die Frage: Was passiert mit dieser Gruppe, die definitiv Bock hat mitzuhelfen und zu gestalten, wenn die Not nachlässt? Wie können wir diese Potentiale weiterhin nutzen und weiterentwickeln? Neben der Krisenbewältigung wird das unsere große Herausforderung sein. Wir werden nicht auf Null zurück gehen, aber die Akutphase wird vorbei sein – was passiert dann? Wir können es uns nicht leisten, so weiterzumachen wie vorher oder darauf zu warten, dass es wer anders macht, sondern müssen jetzt die Ideen für morgen entwickeln.
Was macht der aktuelle Shutdown mit dem Thema Familie und Freundschaft, dem Blick auf die Älteren und Schwächeren unserer Gesellschaft? Erleben wir eine Renaissance der Familie als engen Kern?
Schauen wir mal in die Erfahrungswelten der Länder, die schon weiter sind. Nehmen wir das Beispiel China. Hier gibt es zwar einerseits das Thema Familienzusammenhalt, also tatsächlich eine Renaissance der Familie als engen Kern sehr stark. Auf der anderen Seite beobachten wir aber auch, dass Familien nicht mehr zusammenpassen. Scheidungen, häusliche Gewalt, Spielsucht etc. – alles wird jetzt sichtbar und verstärkt sich. Es gibt diese Extreme und viel dazwischen. Ganz persönlich hoffe ich, dass wir positive Erfahrungen machen und Elemente aus der Situation mitnehmen. Dass wir uns auf ein gesundes Niveau einpendeln, aber ein stärkeres Miteinander als vorher.
Meinst du, Digitales und Social Media werden jetzt noch stärker auch im privaten Bereich verankert? Oder entsteht genau der Gegentrend?
Ich glaube, die Nutzung digitaler Medien wird mehr und mehr zum Selbstverständnis werden. Wir haben hier in der Region Altenheime erst mit privaten Tablets ausgestattet und jetzt hat sich sogar eine Firma gefunden, die das übernimmt. Meine Frau bringt den Verwandten bei, wie sie ihre Angehörigen im Altenheim über „Zoom“ im Video-Chat sprechen können. Das ist ein neuer Weg. Auch bei den Kids wird Online-Unterricht nicht völlig verschwinden. Ich glaube, es verbreitert unseren Möglichkeitsraum erheblich. Gleichzeitig machen wir aber auch die Erfahrung, wie anstrengend es ist, den ganzen Tag vor einem Bildschirm zu sitzen. Wie ich schon sagte – Trends und Gegentrends sind eng miteinander verknüpft.
Stehen wir deiner Meinung nach am Anfang einer neuen Ära?
Ich glaube, die Zeit neuer Äras ist vorbei. Diese Frage hätte man auch nach 9/11 oder jeder anderen Krise stellen können, aber ich würde nicht sagen, dass sich nach diesen Krisen neue Äras entwickelten. Die Globalisierung führt uns vor Augen, wie unterschiedlich wir alle mit Herausforderungen umgehen. Gerade jetzt. In der Ukraine z. B. fängt die Fußballsaison gerade an und die Leute laufen in die Stadien – trotz Corona. USA und UK haben auch erst einen anderen Weg gewählt, mit der Krise umzugehen, als die meisten EU-Länder… Ich glaube es gibt aufgrund der Diversität keine wirklichen Äras mehr. Alles findet gleichzeitig statt.
Kunst, Kultur und jegliche Großveranstaltungen finden derzeit nicht statt. Die Olympischen Spiele wurden auf 2021 verschoben, die Fußball Europameisterschaft findet nicht statt, es gibt keine Messen, Kongresse, Konzerte oder Ähnliches. Wie schätzt du persönlich die Auswirkungen von Corona auf den Markt von Kunst, Kultur, Sport und Entertainment ein?
Ich glaube, sie sind dramatisch. Lasst uns bei Sport anfangen. Der Spitzensport wird seine Lösungen finden, aber alle, die semiprofessionell sind, stehen vor einer Zerreißprobe. Sie können sich das gar nicht leisten, dass eine Saison nicht stattfindet. Wenn die Saison ausfällt, sind sie kaputt, Sponsoren springen ab, Einnahmen fehlen. Das auszugleichen wird schwierig.
Kunst muss man ganz differenziert betrachten. Wir werden vielleicht einen Boom im Bereich der bildenden Künste erleben, weil wir das Heim mehr schätzen und evtl. wieder mehr Bilder an den Wänden haben wollen. Das wäre ein Glück für diesen Bereich. Kunst, die Publikum braucht, benötigt aber einen langen Atem. Das ist die Herausforderung, denn den haben viele nicht.
Du sprichst damit das Thema finanzielle Rücklagen an. Die fehlen vielen Künstlern und das fällt natürlich jetzt extrem ins Gewicht, gerade wenn sie Vollzeit-Künstler sind. Insgesamt arbeiten Künstler und Musiker keineswegs in einem Metier, das Stabilität und berufliche Sicherheit bieten kann. Liegt hier ein Fehler in unserem System? Sollten Kulturschaffende evtl. sogar ein geregeltes, staatliches Gehalt bekommen – als Gegenleistung dafür, dass sie die Kultur „am Leben halten“ und so der Gesellschaft dienen?
Auf den ersten Blick scheint das eine berechtigte Frage zu sein. Meiner Meinung nach macht es aber keinen Sinn, einzelne Bereiche oder Märkte – wie beispielsweise Kunst – auf diese Weise zu fördern. Die Frage ist überhaupt erstmal: Was ist Kunst? Wer würde eine Unterstützung erhalten und wer nicht? Wer würde das entscheiden? Und sind wir als Gesellschaft bereit, dafür etwas zu bezahlen, wenn wir noch nicht einmal bereit sind, 1% mehr für die Krankenversicherung zu zahlen?
Wir werden um das Thema Grundeinkommen wahrscheinlich nicht herumkommen und die grundsätzliche Diskussion muss man führen. Die große Frage wird sein, wer unterstützt wird, wie hoch diese Basis sein muss und wie Märkte darauf reagieren. Das zieht viele Aspekte nach sich, die berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel: Gäbe es ein einheitliches, flächendeckendes, bedingungsloses Grundeinkommen, bestünde die Gefahr, dass die Mieten steigen, denn jeder wüsste ja, dass die finanzielle Basis da ist. Deswegen braucht es dafür genaue Spielregeln.
Im Zuge der Corona-Krise zeigt sich: Viele jetzt als systemrelevant angesehene Berufe werden von Frauen durchgeführt. Sei es die Arbeit als Krankenpflegerin, Altenpflegerin oder als Kassiererin im Supermarkt. Diese werden meist nur geringfügig entloht. Ist nun die richtige Zeit gekommen, die Aufmerksamkeit auf das Thema Gender Pay Gap zu lenken?
Der Gender Pay Gap ist nur ein Teil des Problems. Der Kassierer im Supermarkt wird ja genauso schlecht bezahlt. Wir brauchen die Diskussion um die Bezahlung in diesen Berufsgruppen grundsätzlich und zwar brauchen wir sie jetzt. Solange wir uns freuen, dass wir beim Einkauf so viel sparen und heute 5 Cent weniger für die Milch zahlen als noch gestern, während wir vor den Produktions- und Vertriebsbedingungen die Augen schließen, haben wir einfach ein Problem. Wir applaudieren gerade und finden toll, dass die systemrelevanten Jobs durchgeführt werden, aber langfristig wird uns das nicht helfen. Wie geht es nach der Krise weiter?
Bei Müllwerkern haben wir irgendwann mal die Entscheidung getroffen, sie relativ gut zu bezahlen. Sie können aber auch nachdrücklich zeigen, was passiert, wenn sie acht Wochen ihren Job nicht machen. Dann sitzen wir alle wortwörtlich in der Patsche und jeder spürt das direkt. (lacht) Das haben die Streiks im öffentlichen Dienst 2018 gezeigt und das sehen wir auch in anderen Ländern, in denen die Müllabfuhr streikt.
Was ich schrecklich finde, ist, dass die Gewerkschaften gerade kaum aktiv sind. Wir hören oder lesen kaum etwas von ihnen. Sie haben keine Handlungskompetenz und bräuchten eigentlich Unternehmen wie euch für ihre Kommunikation. (lacht)
Worin sie gut sind, ist Grabenkampf. Sie sind gut in Streiks, Verhandlungen… Jetzt erleben wir eine Situation, in der die Gewerkschaften gut gebraucht werden könnten, aber wir haben keinen Streit. Es geht nicht um Streitschlichtung, sondern um Mitgestaltung. Da fehlen gerade Mechanismen. Jetzt wäre der Punkt rauszugehen und sich zu positionieren. Die Interessenvertreter machen meiner Meinung nach gerade nicht ihren Job. Wenn sich da nichts ändert, dann redet drei Wochen nach der Krise keiner mehr über die Kassiererin im Supermarkt.
Unsere Gesellschaft kann gestärkt aus der Krise hervorgehen, wenn wir das Positive, das jetzt entsteht, weiterentwickeln!
Denkst du, es findet gesellschaftlich eine Verschiebung der Werte statt?
Werte verschieben sich nicht, aber ihre Ausprägung auf jeden Fall. Ich habe 50 Jahre Erfahrungsraum hinter mir und drei Wochen Krise. Der Einfluss dieser drei Wochen auf mein persönliches Wertesystem im Vergleich zu den 50 Jahren vorher hält sich noch in Grenzen.
Lass uns einmal zwei Bereiche in diesem Zusammenhang besonders betrachten. Einer unserer Grundwerte ist die Freiheit und damit auch die Freiheit zu reisen, sich frei zu bewegen. Die Deutschen sind schon lange die sogenannten Reiseweltmeister. Mehrfacher Urlaub im Jahr und Mobilität sind uns wichtig. Werden wir hier unser Verhalten verändern? Und wenn ja, wie? Werden wir umweltfreundliches Reisen bevorzugen, mehr im eigenen Land reisen? Und, um es weiter zu fassen: Wie wird sich das auf den geschäftlichen Bereich auswirken?
Ich glaube nicht, dass sich das Reisen verändern wird. Eigentlich wurde uns eine staatliche Pause verordnet. Es wurde ja nicht von mir entschieden, dass die Grenzen zu sind. Nicht ich habe gesagt, dass es aus ökologischen Gründen keinen Sinn macht, drei Wochen nach Australien zu fliegen. Es wird sich eher insofern verändern, als dass sich viele das Reisen erstmal nicht mehr leisten können. Auch Reiseziele als gewählte Destinationen verändern sich eventuell über das verringerte Budget, aber auf meine Wünsche hat das alles keinen Einfluss. Das heißt, sobald sie können, werden die Leute die Fernreise nach z. B. Asien oder Australien dann auch wieder machen.
Ich denke allerdings, dass es sich geschäftlich schon verändert, weil viele Unternehmen gerade die Erfahrung machen, wie viel virtuell geht. Aus der Not heraus – Geld zu verdienen und bei Ausgaben zu sparen – werden sie die neuen, digitalen Möglichkeiten präferieren. Ich glaube, Businessreisen werden extrem hinterfragt werden, weil die Organisationen einfach Geld sparen müssen. Die Wirtschaft wird schrumpfen. Es wird aktuell kaum produziert. Das führt zu Druck auf die Verantwortlichen. Der Treiber verändert sich von „Wir dürfen gar nicht, wegen Corona.“ hin zu „Überlege es dir gut, ob es finanziell Sinn macht.“ Möglicherweise werden Treffen nur noch dann persönlich sein, wenn zum Beispiel ein neuer Kunde gewonnen werden soll, d. h. man Vertrauen aufbauen möchte und der direkte persönliche Kontakt im Vordergrund steht.
Durch die aktuelle Krise merken wir, was es bedeutet, wenn die ganze Welt zeitgleich von einer Bedrohung betroffen ist, die sich unmittelbar auf unser gesellschaftliches Leben auswirkt. Ähnlich verhält es sich ja mit der Klimakrise, nur wurde das bislang nicht so direkt empfunden. Glaubst du, es kommt jetzt zu einem stärkeren Bewusstsein dafür und denkst du, dass diese – dann wahrgenommene – Bedrohung durch den Klimawandel und die Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun, dazu führt, dass „Umweltbewusstsein“ bzw. „Umweltschutz“ als Wert stärker Einzug in unser Wertesystem hält?
Nehmt Ihr aktuell etwas von Fridays for Future wahr? Ich, ehrlich gesagt, nicht. Wir haben gerade eine Krise, die die andere, vielleicht weniger unmittelbar bedrohliche Krise total überlagert. Die Umweltthematik wird zu einer Randerscheinung und schafft es nicht, da raus zu kommen. Es wird von positiven Effekten berichtet und das spürt ja jeder auch selbst. Ich kann zum Beispiel von zu Hause aus eine Straße sehen, auf der morgens die Arbeitnehmer zu einem großen Werk fahren. Da ist sonst immer Stau, derzeit nicht. Man kann es im Alltag sehen und fühlen, die Luft ist zum Beispiel besser. Aber Fridays for Future ist der Freitag auf der Straße weggebrochen und es ist nicht gelungen, dieses Instrument online fortzusetzen und so weiter Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.
Der Transfer von der einen Krise auf die andere Krise wird nicht geleistet, weil es unterschiedliche Krisen sind. Corona ist akut, täglich wird von Infektionsraten und Todesopfern berichtet, und dann hast du auf der anderen Seite die langfristige Krise der Klimaveränderung, die wir nicht so bewusst wahrnehmen. Die Menschen können sich vielleicht im Moment in Anbetracht der Gefahr durch Corona auch gedanklich gar nicht damit beschäftigen. Ich glaube, wir werden schnell bereit sein, die Ökologie beiseite zu schieben, bis wir uns wirtschaftlich erholt haben. Die Auffassung, dass Umweltschutz ein Luxusthema sei, ist immer noch weit verbreitet. Erst muss es uns gut gehen, dann werfen wir einen Blick auf das Überleben der Natur…
Trotzdem scheint die Welt zum ersten Mal die unmittelbare Verbesserung, die beispielsweise das Herunterfahren von Fabriken und Kraftwerken mit sich bringt, zu begreifen. Bisher war in der Klimadebatte oft ein Argument, dass bestimmte Dinge nicht gehen oder nicht schnell gehen, weil die Wirtschaft nicht entsprechend agieren kann. Nun gehen viele Dinge aber doch und sogar sehr schnell. Die Frage ist nur zu welchem Preis. Gehst du davon aus, dass auch nach Corona die anvisierten Klimaziele weiter verfolgt werden oder gehst du vom Gegenteil aus, nämlich, dass die Industrie zum Beispiel günstigere Energiegewinnungsmethoden einsetzt, da die Unternehmen den wirtschaftlichen Einbruch kompensieren müssen?
Das war ja auch eine andauernde Diskussion der reichen Länder. Jetzt sind aber die reichen Länder nicht mehr so reich bzw. werden es nach der Krise nicht mehr sein. Vermutlich wird erstmal alles darauf ausgerichtet, die Wirtschaft wieder hochzufahren. In zwei Jahren oder später ist dann wieder die richtige Zeit gekommen, um an anderen Problemen zu arbeiten. Umweltschutz und Klimaziele werden zunächst nicht im Fokus stehen. Es wird im Fokus stehen, dass überhaupt unser gesamtes Sozialsystem wieder „ins Laufen“ kommt. Und dann brauchen wir eine neue Greta – eine Sprecherin oder einen Sprecher, der stark genug ist, eine Art Revolution für die Umwelt erneut zustande zu bringen. Sie hat mit ihren jungen Jahren innerhalb eines Jahres so viel erreicht. Die erste Frage ist aber: Haben wir nach der Überwindung der Corona-Krise noch die Zeit und auch die Kraft, uns um diese Fragen zu kümmern?
Wir sind gerade Teil eines Extremexperiments. Auch im Wiederhochfahren der Wirtschaft werden wir erleben, dass wir in der Lage sind, sehr schnell zu reagieren. Es ist ja der Hammer, zu sehen, wie schnell Mitarbeiter ermächtigt wurden, von Zuhause aus zu arbeiten. Und wie schnell sie sich auch darauf einstellen konnten. Früher hätten Unternehmen aus solch einem Vorhaben ein 5-Jahres-Projekt gemacht oder gleich abgewunken. Wir begreifen gerade, wie schnell wir uns verändern können, aber das wird wohl nicht der Umwelt zugute kommen.
Wir bedanken uns herzlich für dieses zweite Interview mit dir und freuen uns auf unser vorerst letztes Gespräch zu „Trends, Technologien und Innovation“.
Das Interview wurde durchgeführt von Simone Schmitt-Schillig, Hannah Unglaub, Lina Rieder und Konstanze Mayr.
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„Experimente wagen und Neuland erkunden“, nach dieser Maxime lebt und arbeitet Sven Franke. Er ist Organisationsbegleiter, Sparringspartner für Betriebsräte und Unternehmensleitungen, Thementreiber, Autor und Keynote-Speaker. 2014 und 2015 initiierte er gemeinsam mit Weggefährten die Projekte „AUGENHÖHE“ und „AUGENHÖHEwege“. Mit CO:X begleitet er Unternehmen, die sich aus sich selbst heraus verändern und neue Wege der Zusammenarbeit gehen. In 2017 wurde Sven Franke mit dem New Work Award von XING ausgezeichnet. 2019 veröffentlichte er zusammen mit Stefanie Hornung und Nadine Nobile das Buch „New Pay – alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle“.
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Weiterführende Links:
https://www.zukunftsinstitut.de/zukunft-heute-corona/#szenarien
https://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen
https://de.wikipedia.org/wiki/Gender_Pay_Gap
https://fridaysforfuture.de
https://de.wikipedia.org/wiki/Greta_Thunberg
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